► Die Verantwortlichen des Centro de Arte Juan Ismael (s.u.) haben ein hartes Leben und ertragen es mit bemerkenswerter Fassung. Inselbewohner wie Touristen schmähen dieses wunderbare Kulturzentrum mit Ignoranz, das es immer wieder schafft, Ausstellungen von internationalem Niveau auf die kulturbefreite Insel Fuerteventura zu bringen. Auch dass kein Besucher des Centro de Arte Juan Ismael je einen Cent Eintritt für den Besuch locker machen musste, steigerte nie die Frequenz. Ausstellungen werden eröffnet, Politiker und Insel Prominenz halten ihre wenig bedeutenden Gesichter in die Kameras der Lokalpresse und danach wird es schändlich einsam in den Hallen.
Trotzdem, zum Glück, überlebt das Centro de Arte Juan Ismael, denn es ist ein Prestigeprojekt des Cabildo de Fuerteventura, der Inselregierung, die sich zu Presseterminen auch gerne mal kulturbeflissen geben will. Das macht medial intellektuell. Ansonsten haben es die Protagonisten mit Kultur weniger, wie auch der Grossteil jener, die auf Fuerteventura leben oder die Insel besuchen. Das ist in Ordnung, wenn kein Anspruch besteht, sich zu einer Persönlichkeit zu entwickeln. Bisher war jeder Kunstgalerie Fuerteventuras ein kurzes Leben beschieden. Selbst die einzigartige Case Mané (s.u.) musste in historisch bedeutenden Mauern aufgeben. Das cabildo kratzte das nicht, machte keinen Euro Förderung locker, es lässt lieber rotondas, Kreisverkehre, bauen und asphaltieren.
► Es ist schon erstaunlich, dass Fuerteventura, neben der kleinen und entlegenen Insel El Hierro (s.u.), die einzige der sieben Hauptinseln der Kanaren abgibt, die nicht in der Lage ist, eine relevante Kunstszene dauerhaft zu etablieren. Wohlgemerkt, obwohl die Voraussetzungen dafür gut wären. Das setzt schon einiges an Talent- und Tatenlosigkeit in diesem Segment voraus und kann nicht jeder. Der Ort Lajares (s.u.), der sich gerne selber als Künstlerort der Insel tituliert, gibt für den Kunstbeflissenen nur ein erbärmliches Bild ab. Ein etablierter, klassisch gebildeter Künstler, der einst diese Szene in Lajares suchte, meinte desillusioniert das Weite suchend zu Sunnyfuerte, dort würde sich jeder Müllsammler mit Heissklebepistole für einen Künstler halten. Er spielte damit auf die aus Strandgut zusammengeklebten Objekte an, die am wöchentlichen Kunstmarkt, besser Bastelmarkt, den Touristen feil geboten werden. Auch Schmuck, der aus Baumarkt Beilagscheiben hergestellt wird, ist dort zu haben und anderes Herausragendes in Sachen Kunst. Das kunstvollste in Lajares sind wohl die kulinarischen Schöpfungen der La Paneteca und die sind wiederum sehr zu empfehlen.
Nach dieser wenig schmeichelhaften, treffenden aber nicht bösartigen Analyse, sollte aber festgehalten werden, dass die Kanaren über die Epochen herausragende Künstler hervor brachten, die ihren Weg auch in den Prado fanden. Erwähnenswert aus dem Barock ist u.a. der Meister Juan Bautista Hernández Bolaños aus Teneriffa, dessen „El Purgatorio“ in der Kirche in Tetir (s.u.) zu sehen ist, oder der international gefeierte Architekt und Künstler César Manrique Cabrera (* 24.4.1919, Arrecife, LZ - † 25.9.1992, Teguise, LZ) aus Lanzarote (s.u.), einst mit Andy Warhol und Pablo Picasso eng befreundet, der das Erscheinungsbild Lanzarotes nachhaltig prägte und seiner Insel immer treu blieb. Der Entwurf des Mirador Morro Veloso nahe Betancurias (s.u.), ist beispielsweise aus der Hand des Meisters Manrique.
Das Kulturzentrum Centro de Arte Juan Ismael würdigt mit seinem gewählten Namen den Künstler Ismael Ernesto González Mora (* 19.12.1907, Las Palmas, GC - † 24.8.1982, ebenda). González war ein bedeutender bildender Künstler Gran Canarias, der sich, wie so viele spanische Künstler, dem Surrealen verschrieben hatte. Und daher ist die äusserst sehenswerte Ausstellung des Künstlers Chem Madoz auch eine besonders treffende Wahl für das Centro de Arte Juan Ismael und die ist zu besuchen.
► Es konnte wohl keine bessere Kuratorin als Oliva María Rubio (* 14.3.1954, Salamanca) gefunden werden, die Werke des Künstlers Chem Madoz kuratiert. Sie studierte in Madrid Kunstgeschichte, promovierte auch dort 1992 mit cum laude mit ihrer Arbeit „La Mirada interior. El Surrealismo y la pintura.“. Und wieder der spanische Surrealismus. Wer sich Don Quijote de la Mancha, eines der zehn bedeutendsten Werke der Weltliteratur, des genialen Miguel de Cervantes Saavedra widmet, wird auch dort das Surreale finden. Spanische Intellektuelle haben den interessanten Hang sich mit Schein, Realität und Traum zu befassen und das bis heute. Die alte Frage, die auch Goethe und Humboldt sich stellten und zusammen diskutierten: Gibt es die Realität oder ist sie nur eine subjektive Wahrnehmung. Auch der Baske Miguel de Unamuno (s.u.), der während der spanischen Militärdiktatur auf Fuerteventura interniert war, hatte einen Hang dazu. Wer sich dafür interessiert, findet in seinem Werk Niebla (Anm.: Nebel) ein gutes Beispiel.
Von 1991 bis 1995 war Rubio Kuratorin der Kulturstiftung Banesto und zeichnete für Ausstellungen im Bereich bildender Kunst sowie Photographie verantwortlich, bevor sie begann als freie Kuratorin zu arbeiten. Ihr Werdegang ist Garant für eine erstklassige Ausstellung „La naturaleza de las cosa.“, die nun auch den Weg nach Fuerteventura fand. Mit Geschick stellte sie 50 Werke von Chem Madoz zusammen, die einen interessanten Einblick in dessen Werk und Arbeitsweise gibt. Dem filmischen Porträt des Künstler, das Einblick in die Arbeitsweise von Madoz gibt, sollte sich der Ausstellungsbesucher jedenfalls widmen.
► José María Rodríguez Madoz (* 20.1.1958, Madrid) studierte in seiner Heimatstadt Kunstgeschichte. Bereits in dieser Phase entwickelte sich bei ihm ein starkes Interesse zur Photographie. Um das Handwerk zu erlernen, besuchte er parallel zum Studium Kurse am Centro de Enseñanza de la Imagen. Bald folgten die ersten Fotoausstellungen, teils an prominenten Orten Madrids. Bereits 1991 konnte Madoz den bedeutenden Preis Premio Kodak für sich entscheiden. Es folgte 2000 der Premio Nacional de Fotografía de España, im selben Jahr Premio Higashikawa Overseas Photographer del Higashikawa PhotoFestival (Japan).
Wie alle bedeutenden Künstler, entwickelte Madoz seinen eigenen Stil. Literaten kreieren ihre eigene, unverwechselbare Sprache wie Joachim Ringelnatz. Stimmt Carlos Santa nur die ersten Noten mit seiner Gitarre an weiss jeder, es ist der Meister. Künstler der Photographie entwickeln eine Art und Weise, einem reinen Abbild der Realität ihre Interpretation einzuhauchen. Portraits zeigen den Charakter hinter dem Gesicht, Reportage Photographen die ungeschminkte Realität ohne ideologisch verstellten Blick. Photographen wie Madoz schaffen Bilder, die auf den ersten Blick ansprechend wirken, beim genauen Hinsehen aber erkennen lassen, das Bild transportiert subtil eine Idee, wie der Schlüssel als Lupe, eines der gezeigten Bilder.
Madoz ist ein Perfektionist. Nichts ist Zufall. Jede Bildidee wird vor der Umsetzung als Skizze zu Papier gebracht. Dabei werden Objekte teils aus Einzelteilen gebaut, die erst bei näherem Hinsehen als solche erkennbar werden. Den Hang dazu entwickelte Madoz als Kind am Strand, als er begann aus rund geschliffenen Steinen Dinge im Sand zu legen, die Sinn ergaben: Fragezeichen, Sprechblasen beispielsweise. Photographiert wird analog mit klassischer Hasselblad auf 6x6 Film, minimalistisch und mit sowenig künstlichem Licht wie möglich.
Die Ausstellung „La naturaleza de las cosa.“ im Centro de Arte Juan Ismael ist überaus sehenswert und das nicht nur für Photographie Interessierte. Die Bilder vermitteln auf sehr ästhetische und puristische Weise Anknüpfungspunkte zum Nachdenken. Wer eine Persönlichkeit sein eigen nennt, sollte die Ausstellung unbedingt besuchen und danach festhalten können: „Ich ging hinein und kam inspiriert wieder heraus!“
Anmerkung: Die hier gezeigten Bilder entstanden im Centro de Arte Juan Ismael, Puerto del Rosario, Fuerteventura und zeigen dessen Räumlichkeiten und einen Auszug aus den präsentierten Arbeiten des Künstlers Chema Madoz. © Dr. Ingmar Köhler, November, 2024.