► Dass ein Urlauber, der zwischen Bergen oder Hochhäusern lebt, die ihm den weiten Blick verstellen, von atlantischen Sonnenuntergängen in den Bann gezogen wird, ist verständlich. Selten sieht er das Farbenspiel, welches das späte Licht der Sonne in den Himmel zeichnet, wenn es sich den weiten Weg durch die Atmosphäre bahnt. Dieses einzigartige Licht gibt es nur zu sehen, wenn sich der Feuerball dem wahren Horizont nähert. Die Faszination eines Sonnenunterganges muss aber mehr ausmachen, denn auch Insulaner, die dieses Spektakel inflationär zu sehen bekommen, versammeln sich immer wieder an der Küste, in den kleinen Fischerhäfen, am Strand, um die Eindrücke auf sich wirken zu lassen: Tief in den Genen verankert, Mutter Sonne, die Lebensspendende. Bevor die grossen Weltreligionen Spirituelles institutionalisierten, stand die Sonne im Mittelpunkt des Glaubens, der Mythen und Riten: In Megalith-Kulturen, der amerikanischen Völker, der Numiden und Aborigines oder auch der Majoreros auf Fuerteventura. Die einen errichteten Steinkreise, andere Pyramiden, um Mutter Sonne näher zu sein, wieder andere stiegen auf Berge, auf den Uluru in Australien, in Fuerteventura auf den heiligen Berg Tindaya.
► Der Tourist hofft auf klaren Himmel, um mit der Kamera einen Sonnenuntergang als Souvenir für daheim einzufangen. Eine gute Idee, sehr Persönliches, vielleicht Emotionen oder Gedanken, festzuhalten, wenn es mit einer gewissen Hingabe angefertigt wird. Die Bilder sind dann aber meist nicht so, wie geplant: Ein roter Punkt in weiter Ferne über dem Meer, kommt eine lange Brennweite zum Einsatz, ein grosser roter Punkt über dem Meer. Das ist nicht ansatzweise so „episch“, wie es werden sollte. Für Social Media Addicts, die ihr Leben für andere führen, ein Like Desaster: Mehr als Gefälligkeitsdaumen werden das nicht. Mit einer Karriere als Influenzer wird das so nichts werden.
Um einen epischen Sonnenuntergang einzufangen, kann der Photograph genau eines nicht gebrauchen: Einen makellos klaren Himmel. Dann wird es garantiert langweilig. Spektakulär wird es, wenn sich in der Atmosphäre etwas tut, an dem sich die Sonnenstrahlen brechen können. Dann zaubern die langen Wellen des Lichts eine unwirkliche Farbenpracht in den Himmel und die ist immer anders, je nachdem, was in der Luft liegt. Läuft an einen Strand massive Brandung an, dann steigt die Gischt weit auf. Das letzte Licht der Sonne legt dann einen bunten Teppich über das Meer. Hoch oben der Wasserdampf des Atlantiks, die Passatwolken, gebaut von der Energie der Sonne während des Tages. Besonders surreal werden Sonnenuntergänge an Calima Tagen. Der heisse Wind aus der Sahara transportiert feinsten Staub, an dem sich das späte Licht in unwirklichem Rosa und Violett bricht.
Mit einem fetten Teleobjektiv anzurücken, um einen epischen Sonnenuntergang einzufangen, ist etwas für Poser. Eine klassische Weitwinkel Brennweite gehört an die Kamera: 21 mm, 24 mm, vielleicht auch mal 35 mm auf Vollformat. Episch soll es doch werden, also grosses Kino, Cinemascope. Ein Sonnenuntergang ist wie ein mitreissendes Theaterstück. Der Blick nach Westen öffnet die Bühne. Der erste Akt, das erste Glühen, der letzte, das Nachglühen. Das beginnt erst 20, 30 Minuten nachdem die Sonne verschwunden ist. Auf den Nachspann warten. Wer die gesamte Bühne, das gesamte Spektakel einfangen möchte, braucht ein Weitwinkel.
► Cofete und seine Strände sind ein besonderer Ort. 12 Km Sandstrand, der im Süden am Roque del Morro mit dem Playa de Cofete beginnt, an der El Islote de Cofete Richtung Norden seinen Namen auf Playa de Barlovento ändert und am Punta de Playa Larga endet. Dann ist aber noch lange nicht Schluss mit Stränden. Nur geologisch ändert sich einiges. Dort beginnt El Jable, der Istmo de la Pared, die Landbrücke zwischen Maxorata und der Halbinsel Jandía. Richtung La Pared reihen sich die Strände Agua Tres Piedras, Agua Liques und final der schöne Hausstrand von La Pared, Playa del viejo Rey, auf. Die kleine Felseninsel Islote de Cofete, liegt recht zentral auf den 12 Kilometern Strand. Südöstlich hinter ihr erhebt sich die Steilflanke des höchsten Berges von Fuerteventura, des Pico de la Zarza (807m). Leicht nordöstlich klafft in der Bergkette der V-Einschnitt Mirrador de los Canarios. Eine Pfadspur findet sich von dort zur Islote hinunter, die aber nur etwas für jene ist, die in den Bergen zu Hause sind. Alle anderen meiden sie.
Abgesehen von der beeindruckenden Landschaft, hat die El Islote de Cofete so einiges zu bieten, das bei passenden Wetterlagen phantastische Sonnenuntergänge verspricht. Dort am Playa de Barlovento, barlovento steht für Luv, stürmt heftige Brandung an. Immer liegt ein feiner Nebel in der Luft. Dazu stauen sich Passatwolken an der mächtigen Bergkette. Der Rest eines Vulkankraters, der nordwestliche Teil brach irgendwann einmal in den Atlantik ab. Das sind alles gute Zutaten, damit die abendliche Sonne Farbenpracht in den Himmel zaubert. Ob die Sonne aber über dem Punta de Pesebre, dem südwestlichsten Punkt Fuerteventuras, oder weiter landeinwärts versinkt, hängt von der Jahreszeit ab. Mit entsprechenden Apps, Astrosoftware oder dem guten alten Sonnenkompass der Flieger, lässt sich das ermitteln. Wie auch immer, ist der Himmel nicht dicht mit Wolken verhangen, wird der Sonnenuntergang fast immer spektakulär an der Islote.
► Obwohl Cofete mittlerweile, dem Tourismus geschuldet, über eine gute Piste zu erreichen ist, selbst ein Linienbus ist auf dieser unterwegs, ist es auch in der Hauptsaison sehr ruhig an den Stränden von Cofete. Baden ist hier lebensgefährlich. Viele kommen nur um zu schauen und sind gleich wieder weg. Die bleiben, konzentrieren sich um den Parkplatz am Strand. 500 Meter nördlich und südlich ist der Strandläufer schon alleine. In der Off-season unter der Woche kann es völlig einsam sein, wenn nicht der lokale Ziegenbauer unterwegs ist, um seine cabras einzusammeln.
Den Mietwagen am Strandparkplatz abstellen. Dort ist auch die Busstation von Cofete zu finden. An der parada steigen gerne die Wanderer ein, die durch das Gran Valle nach Cofete kamen und den Rückweg nicht zu Fuss unternehmen wollen. Irgendwelche Pisten oder den Strand mit dem Auto zu befahren, ist streng verboten: Naturschutzgebiet! Nun heisst es einen wunderbaren Strandspaziergang zur Islote de Cofete zu geniessen. Es geht knapp 3,5 Km nach Norden, bis die Islote erreicht ist. Die Gischt der Brandung liegt in der Luft. Schon nach einigen Minuten bildet sich ein feiner Wasserfilm auf der Haut. Am Wasser ist der Sand tief, am östlichen Ende verläuft eine holprige Piste, die der el pastor mit seinem ranchero nimmt. Er darf das. Nicht zu spät am Ziel ankommen. Eine Windjacke im Gepäck und dann auf der kleinen Felseninsel seinen Platz suchen, hinsetzen, warten und geniessen. Wer Lust hat, kann nun die Bilder seines Urlaubs schiessen, die wenige von Fuerteventura mit nach Hause bringen. Aber Vorsicht: „Heute haben wir wieder viel fotografiert und wenig gesehen.“ (William Golding).