Lebendiges Brauchtum findet sich auf den Kanaren. Von den Ureinwohnern, den ersten Siedlern, eine Mischung daraus, darüber denkt niemand so genau nach. Die alten Bräuche werden mit Begeisterung gepflegt, von alt und jung, denn sie machen allesamt Spass. Der Tourist bekommt davon nicht viel mit, da Canarios zwar sehr offene, soziale und gastfreundliche Menschen sind, aber auch sehr stolz. Heimatabende wie man sie aus den Alpenräumen kennt, um Touristen zu bespassen, dafür würde sich kaum ein echter Canario hergeben. Einige der besonders beliebten Bräuche seien hier angerissen.
Der "lucha canaria" ist gleich nach "fútbol" und vor "bola canaria" der beliebteste Sport auf den Insel. Es ist ein Ringkampf, dessen Regeln sich jedoch deutlich vom olympischen Ringkampf unterscheidet. Für den "lucha canaria" existiert eine definierte Anzahl erlaubter Griffe, über einhundert sind es. Die Anzahl der fehlerfrei beherrschten Griffe bestimmt die Meisterschaft des Kämpfers. Anders als beim olympischen Ringkampf wird am Boden nicht mehr gekämpft. Sobald ein Kämpfer mit einem anderen Körperteil als den Fusssohlen den Sandboden berührt, ist der Kampf vorbei. Der Sieger hilft dem Verlierer auf und begleitet ihn zu seinem Platz. Wie die meisten traditionellen kanarischen Spiele und Sportarten, wird der "lucha canaria" als Mannschaftssport ausgeführt. Im Mittelpunkt steht das Team und nicht die Einzelperson, was natürlich eine sozial prägende Seite hat. Beim Wettkampf treten die jeweils zwölf Kämpfer nicht der Reihe nach an, sondern wie beim "bola canaria" entscheidet das Team, wer in den Kampf geschickt wird. Das gibt dem Wettkampf auch eine strategische Komponente: Wann schickt man die stärksten und besten Kämpfer ins Rennen.
Jedes grössere Dorf auf Fuerteventura besitzt ein "terrero", eine Wettkampfarena. Selbst Schulen haben am Sportplatz solche. Über Nachwuchs muss man sich keine Sorge machen, denn gute Kämpfer haben den Status eines Fussballstars und auch Sponsoren. Ähnlich dem Fussball gibt es auch eine kanarische Liga mit Klassen und Meisterschaft. Einen "lucha canaria" sollte man keinesfalls verpassen. Wann gekämpft wird, ist an den "terreros" angeschlagen. Obwohl die Kämpfe spät beginnen, sind wie in Spanien üblich alle Generationen vertreten und so ist es keine Übertreibung, dass in der Wettkampfarena vom Rollator, auf spanisch "tacataca", bis zum Kinderwagen alles auszumachen ist. Durch das Beziehen eines Platzes links oder rechts in der Arena deklariert man sich für sein bevorzugtes Team. Es wird also direkt hinter der Mannschaft gesessen und ihr der Rücken gestärkt und auch entsprechend angefeuert. Der Canario hat auch einiges an Kleingeld in der Tasche. Wird ein besonders gelungener Griff ausgeführt, gibt es erst frenetischen Applaus, danach geht der Kämpfer eine Runde durch die Arena und bekommt Münzen für die Vereinskasse zugeworfen, übrigens auch von den gegnerischen Fans. Beeindruckend wie geschickt die Münzen von den Kämpfern aus der Luft gefangen werden.
Der kanarische Stockkampf ist eine interessante Sache, stammt er doch von den kanarischen Ureinwohnern. Neben Steinen war der Hirtenstab die einzige Verteidigungswaffe der Guanchen. Metall gab es keines, Fernwaffen wie Bogen oder Speer existierten ebenfalls nicht, da man nicht auf die Jagd ging ausser in La Gomera, wo die riesen Echse gejagt oder besser erschlagen wurde. Es wurde Ziegen- und Landwirtschaft betrieben, Käse herstellte, Muscheln an der Küste gesammelte und so man fischte, wurden Lagunen mit der giftigen Milch des kanarischen Cardons versetzt, die Fische schwammen auf und konnten eingesammelt werden. Wilde Tiere gegen die man sich verteidigen musste gab es ebenfalls nicht und bevor die Normannen und Spanier kamen auch keine grossen Kämpfe gegen Eindringlinge. Die afrikanischen Sklavenjäger aus Marokko wagten sich nicht auf Gran Canaria und Teneriffa, denn da standen ihnen 20 tsd. bzw. 30 tsd. Guanchen gegenüber, die kurzen Prozess machten. Selbst die Spanier brauchten hundert Jahre, um Teneriffa einzunehmen. Auf Fuerteventura flüchteten die Majoreros im Fall der Fälle in die Berge, lediglich die Mahos auf Lanzarote lebten in keiner so guten Situation. Grössere Waffentechnik wurde einfach nicht benötigt.
Was man aber alleine mit einem Stock und Steinen bewirken kann, so man entschlossen und todesmutig ist, demonstrierten die Guanchen im Mai 1494 in der Schlacht von Aguere auf Teneriffa, die in die spanische Geschichte als "Mantanza de Aguere", als das Gemetzel von Aguere, einging. 1.500 spanische Infanteristen und 150 Reiter gingen siegessicher an Land und stiessen in das Landesinnere von Teneriffa vor. Sie trafen auf nur mit Stöcken und Steinen bewaffnete Guanchen, von denen sie gnadenlos aufgerieben wurden. Lediglich 300 Infanteristen und 60 Reiter konnten sich allesamt verletzt auf die Schiffe retten und fliehen.
Heute ist der kanarische Stockkampf eine beliebte Tradition und friedlich, heisst er doch wörtlich übersetzt nicht Stockkampf sondern "Spiel der Stöcke". Es ist ein Fechten mit den Stöcken nach genauen Regeln, den gegnerischen Körper zu treffen, gilt als Fehler. Ident findet der "thatib" in Ägypten statt, denn von da dürfte der klassiche kanarische Stockkampf stammen.
Juba II. (* 50 o. 52 v.Chr., röm. Provinz Africa – † 23 n.Chr., ebendort) wurde von den Römern eingesetzt, um das heutige Marokko in der Provinz Africa für Rom zu verwalten. Juba II. war Sohn des nubischen Königs Juba I., der in der Schlacht gegen Julius Cäsar eben dieses Marokko an Rom verlor. Juba II. war der Erste, der mit Berbern von Kap Juby zum nur 98 Km entfernt gelegenen Fuerteventura übersetzte. Und so dürfte auch der kanarische Stockkampf über die Berber Fuerteventura erreicht haben, denn er ist eine alte wohl 5 tsd. Jahre alte nubische Technik aus Ägypten, die von der Leibwache des Pharos Sahure (* 2490 v.Chr., Ägypthen – † 2475 v.Chr., Ägypthen) eingesetzt wurde. Sahure war nubischer Pharao der 5. Dinasty des alten Reichs und in seiner Grabpyramide wurden Anleitungen und Darstellungen des Stockkampfs gefunden. Die Verteidigungsmethode wurde von afrikanischen Hirten übernommen und entwickelte sich wie auf den Kanaren zu einem friedlichen Ritual, mehr Tanz als Kampf, in dem Körpertreffer verboten sind. Noch heute ist im traditionellen Ägypten ein ritueller Stockkampf, ein sogenannter "tahtib", fester Bestandteil von Hochzeiten und Dorffesten und ist mittlerweile UNESCO Weltkulturerbe und fast ident jenem auf Fuerteventura.
Es gibt wohl keine Ecke der Welt, auf der nicht in der Landwirtschaft mit dem Stock gesprungen oder unwegsames Gelände bewältigt wird. Die Einen springen über Deichgräben, die Anderen im Gebirge der Alpen über Blockhalden. Der lange Stock mit Metalldorn ist einfach ein erstklassiges Mittel, um sich im unwegsamen Gelände sicher fortzubewegen. So auch auf den Kanaren. Genutzt wurde und wird ein 2,5 bis 4 Meter langer Holzstab, der am unteren Ende mit einem Hartholz abgeschlossen ist, in den ein Stahldorn eingesetzt wird. Mit ihm stiegen die Flechtensammler, um den Rohstoff für die wertvolle Karmin Produktion zu ernten, in die steilen Flanken der Caleta de la Madera auf Fuerteventura oder in die schwindelerregenden hunderte Meter hohen Klippen am "El balcón" auf Gran Canaria. Aber auch an recht harmlos wirkenden Vulkanflanken auf Fuerteventura ist der Palo del Pastor ein gutes Hilfsmittel, um sicher nach unten zu kommen. Die Flanken der Vulkane sind allesamt mit feinem Lavakies übersät, auf dem es sich wie auf Kugellagern geht. Schnell liegt man da am Rücken. Mit dem Hirtenstab ist das Fortkommen sicher und schnell. Mit der richtigen Sprungtechnik werden Lavaabbrüche, die einige Meter hoch sein können, mit Leichtigkeit überwunden. Das ist das Hauptaugenmerk jener, die den "salto del pastor" als Tradition und Wettbewerb pflegen. Es geht darum wer am elegantesten und weitesten Felshindernisse in steilen Bergflanken überwindet. Wer Meistern der Tradition zuzieht wird beeindruckt sein. In weitem und hohen Bogen springen sie vom Stock gestützt über Felsflanken, mehr ein fliegen den springen.
"bola canaria" ist Volkssport auf den kanarischen Inseln. Jedes kleine Dorf hat mehrere Bahnen und sobald am Wochenende die Sonne untergegangen ist, füllen sich die Plätze mit Canarios und es wird bis spät in die Nacht hinein gespielt. Das Spiel ist so populär, das Meisterschaften über das gesamte Archipel ausgetragen werden. "bola canaria" wird ähnlich dem Boccia gespielt, ist jedoch wie der "lucha canaria" ein Teamsport. Keine Person, sondern die Mannschaft gewinnt. Jede Mannschaft spielt abwechselnd einen "bola", wobei die Mannschaft entscheidet, wer die Holzkugel wirft.
"bola canaria" kam mit den ersten Siedlern auf die Inseln und wurde das erste Mal auf Lanzarote gespielt, die Insel mit den vielen Kaninchen, die als Nahrungsquelle ausgesetzt wurden. Daher hört man auch bei älteren Canarios noch den Begriff "bolas conejeras", "bolas" die Kugeln und "conejeras" der Kaninchenbau. Es lohnt sich auf einem Dorfplatz einem Spiel zuzusehen und den Spielverlauf zu verfolgen. Es verblüfft mit welcher Präzision die Kugeln meterweit durch die Luft fliegen und punktgenau eine andere aus dem Spiel schiessen. Oft sind es ältere, sehr beleibte Herren, die schon recht schwerfällig die Bahn betreten und dann einen kunstvollen Wurf ausführen, der staunen lässt.
Kanarische Segler, die auf sich halten, segeln auf jeden Fall auch "vela latina", das alte Dreieckssegel. Die Standardklasse sind klassische Holzboote von 5 Metern Länge mit einer Mannschaft von 3 Personen. Das "vela latina" stellt auch erfahrene Segler, vor allem die Mannschaft, vor einige Herausforderungen, sind doch die Segel direkt mit einer sogenannten "Rute" an den Mast angeschlagen. Das macht wenden und halsen zu einer aufwändigen Geschichte. Kein Grossbaum, der einfach von Luv nach Lee überläuft, das gesamte Segel mit Rute ist auf die andere Seite des Bootes zu bringen.
Fast jede Insel trägt ihre eigene Meisterschaft aus, der zentrale Vereinigung der Lateinersegler in Las Palmas de Gran Canaria richtet einen inselweiten Cup aus, in dem ein Jahressieger ermittelt wird. Am Cup teilzunehmen ist gar nicht so unaufwändig, denn die breiten, bauchigen Boote sind am Hänger mit Fähre zum nächsten Austragungsort zu schaffen. Wer in Las Palmas de Gran Canaria ist, sollte, so er Zeit hat, am königlichen Yachtclub vorbei spazieren. Dort ist der Verband der "vela latina" Segler. Ob der enormen Anzahl der Lateiner Boote die dort liegen, wird manch einer überrascht sein, denn es ist kein Randsport. Auch in Corralejo auf Fuerteventura findet sich ein "vela latina" Club der regelmässig Regatten austrägt. Die schönste ist jene zur Fiesta Nuestra Señora del Carmen.
Als einfachstes Musikinstrument ist die Trommel in jeder Kultur weltweit verankert. Sie führt Krieger in die Schlacht, bringt beim Karneval in Stimmung, ist Element kultischer Zeremonien, in der Musik mit dem Bass Teil der Rhythmus Gruppe. Trommeln ist bei jungen Leuten auf Fuerteventura extrem angesagt. Jeder Ort hat eine Gruppe aus Trommlern, die wöchentlich in den Kulturzentren üben, denn beim Karneval, der auf den Kanaren sehr ähnlich wie in Lateinamerika gefeiert wird, sind sie u.a. das Aushängeschild des Ortes. Aber auch bei jeder Fiesta sind sie integraler Bestandteil der Feierlichkeiten. Die Rhythmen der Trommler sind lateinamerikanisch, sind doch die Canarios historisch nicht nur durch den Handel sondern auch durch familiäre Bande intensiv mit Lateinamerika und der Karibik vernetzt. Die Gruppen der "los tamboreros" nutzen den "el tamboril" und den "el tambor". Ersterer ist ein Tamburin, der in der Hand getragen wird und mit einem Holz Stick geschlagen wird, der "el tambor" sind grössere Trommeln, die umgehängt getragen werden und mit dem Holz Stick oder Paukenschlägel geschlagen werden. Wichtig ist nicht nur der feurige Rhythmus, den die Gruppe ihrem Schlagwerk abringt, sondern auch die Choreographie, die in Varianten einstudiert wird. Während Umzügen stoppen Gruppen immer wieder, wechseln den Rhythmus und führen synchron Drehungen und Tanzschritte dazu aus. Ein absolutes Highlight! Eingeleitet wird das Ganze mit Kommandos die der "el capo" oder "la capa", argentinisch für Führer oder Führerin, mit Signalen einer schrillen Trillerpfeife, der "el pito", einleitet und dann dirigiert. Auf der iberischen Halbinsel wird er oder sie "el jefe" bezeichnet. Bei den "los tamboreros" in El Cotillo sind die Männer übrigens die Minderheit. Kanarische "tamboreros" sollte jeder gesehen haben, denn die Rhythmen sind so mitreissend, das selbst das unterkühlteste Nordlicht Lust bekommt mitzutanzen. Freunde feuriger lateinamerikanische Rhythmen kommen besonders bei der Karneval Parade von Corralejo auf ihre Kosten. Dann zieht eine "tamborero" Gruppe nach der anderen durch die Avenida Nuestra Señora del Carmen.
Bei den "los gomeros" war der "tamboril" übrigens schon vor dem Eintreffen der Spanier bekannt und wichtiges Kultinstrument. Ein Holzreifen, der mit Ziegenhaut bespannt war und mit einem Stock geschlagen wurde. Der Überlieferung nach wurde er zu kultischen Handlungen, Feiern und Beerdigungen gespielt.
Nur im Original – keine Heimatabende.
Dass sich auf Fuerteventura niemand für "Heimatabende" hergibt, ist eine gute Sache und es bleibt zu hoffen, dass dies auch dauerhaft so sein wird. Traditionen sind einfach nichts, um sie bei gestellten Abenden zu verramschen. Das ist für beide Seiten peinlich, für jene, die sich das konstruierte Stück Kultur ansehen und für jene, die sich da zum Affen machen müssen. Trotzdem lassen sich die Bräuche erleben, echt und ehrlich.
Am besten der Tourist sieht sich ein "cartel" einer Fiesta an. Keine Woche ohne dass irgendwo eine Fiesta auf Fuerteventura stattfindet, in jedem Ort mehrere. Es gibt immer etwas zu feiern: Die Schutzheilige, Karneval etc. Anders als in Mitteleuropa sind das keine punktuellen Feste, sie dauern mindestens eine Woche. Ein Fiesta Komitee erstellt ein dichtes Programm für jung und alt. Eine Regatta, Ringkampf, ein bola canaria Tournier etc. steht immer am Plan. Das Programm wird auf "carteles", Plakate, gedruckt und überall in der Gemeinde angeschlagen. Es findet sich auch auf den Webseiten der Gemeinden. Studieren, hingehen, mitfeiern und mitmachen!
Wer auf Fuerteventura urlaubt sollte keinesfalls verpassen, einen Ringkampf zu besuchen. Der Eintritt beläuft sich um die zwei Euro. Das ist zu schaffen. Auch für jene, die mit Ringen überhaupt nichts am Hut haben, ist es ein Erlebnis. Wer in Costa Calma oder der Umgebung urlaubt, für den bietet sich die Ringkampfarena im unscheinbaren Ort Tarajalejo an. Der Ort macht wenig her, dafür ist der lucha canaria Verein in der Liga umso erfolgreicher. Wann Wettkämpfe statt finden, entnimmt man der Lokalzeitung oder dem Anschlag am "terrero" oder lässt es sich erfragen. Am besten man erscheint eine Stunde vor den Kämpfen, denn der terrero hat ein Buffet, das gut besucht ist. Es gibt kanarischen Eintopf, "potaje canario", gegrillte Schweinelände, "lomo a la plancha", typisch kanarische Kost sehr preiswert. Dazu eiskaltes Tropical Bier. Ohne Essen und Trinken geht eben gar nichts auf Fuerteventura. Gut gestärkt wird dann in das terrero gewechselt. Wer sich so einen Abend entgehen lässt, verpasst etwas.